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Die Dressur bei den Olympischen Spielen in Tokio.

Die Dressur bei den Olympischen Spielen in Tokio.

Zuerst für die Jüngeren unter uns ein kleiner Exkurs in die Vergangenheit.

Paul Stecken schrieb in seinem Buch Bemerkungen und Zusammenhänge auf Seite 30:

„ eine ‚andere Reitweise‘ hat sich entwickelt". Begonnen hat die Entwicklung, so schreibt er Anfang der 90er-Jahre. Hier wurde es deutlich sichtbar, aber auch schon Mitte der 80er-Jahre kamen Meisteranwärter und Meisteranwärterinnen in die Westfälische Reit- und Fahrschule, die anfingen, die Pferde enger zu reiten als damals gewünscht. Meist gelang es Paul Stecken, sie davon zu überzeugen, innerhalb der sechs Wochen des Lehrganges dies wieder umzustellen. Umzustellen in die Reitweise, wie sie damals noch gelehrt wurde.

Das sich eine andere Reitweise einwickelt hat, ist an sich wenig Neues. Beim Richten nach der alten Reitweise sind Pferde, die hinter die Senkrechte kamen oder taktunrein vorgestellt, damals in den Lektionen mit Wertnoten unter 5 bedacht worden. Es gab große Diskussionen, auch unter den Richtern, wie die „neue Reitweise“ bei Turnieren zu bewerten ist. Es hat sich dann leider aus Sicht der Vertreter der alten Reitweise durchsetzt, dass solche Pferde weit vor den unspektakulär, aber locker und gelassen vorgestellten Pferden bewertet wurden.

Für mich waren die Dressurprüfungen wenig sehenswert, ich schaltete sozusagen ab ...

Nun hatte ich das große Glück, zufällig bei der Mannschaftswertung in Tokio den Livestream der Olympischen Spiele anzuschalten. Es ritt gerade Jessica von Bredow-Werndl um das Viereck.

Der Eindruck von Dalera und Jessica von Bredow-Werndl war ganz anders als erwartet.

Es war eine Vorstellung zwischen zwei Welten. Man konnte beides, die alte Art zu Reiten erahnen und die „neue Reitweise“ erkennen, aber die Vorstellung war so gut, dass ich dachte, das wird die Einzel-Goldmedaille. Trotz den Elementen der „neuer Reitweise“. Kurz darauf aber kamen mir Zweifel, ob die Richter das genauso sehen. Diese Richter bevorzugten zum Glück die Leichtigkeit vor der „Show der Bewegung der Vorderbeine“. Der Kritik an meiner Aussage, die sicher kommen wird, bin ich mir bewusst. Meine Begründung: Zu beurteilen ist alleinig die Vorstellung in Tokio im Dressurviereck. Man legt die strengsten Kriterien, die früher gegolten haben, an alle Ritte der Einzelwertung. Dann überlegt man sich, wer dann wohl die Goldmedaille bekommen würde. Aus meiner Sicht wäre es immer noch Jessica von Bredow-Werndl. Das ist es, was zählt. Denn wer, wenn nicht sie könnte ihre Reitweise so abändern, dass sie den Richtern und den Bewahrern der Reitausbildung genügt, die Hippologen wie z.B Paul Stecken gelehrt haben.

Das lässt mich und sicher einige andere hoffen, dass man mit einem gut und komplett mit der Reitweise der deutschen Hippologen des letzten Jahrhunderts ausgebildetem Pferd doch bald wieder gut platziert werden kann. Kritik aus der Sicht der Vertreter der „alten Reitweise“ an den noch vorhandenen Anzeichen der „neuen Reitweise“ wäre unangebracht. Hier wäre es gut abzuwarten, welche Richtung Jessica von Bredow-Werndl einschlagen wird oder will. Es ist unbestreitbar, dass es hier eine Verbesserung gegeben hat, die mit der Goldmedaille belohnt worden ist.

Ich hoffe, Jessica von Bredow-Werndl wird diese Richtung bevorzugen. Ich habe da Hoffnung, denn sie hätte fast während der gesamten Aufgabe die Zügel überstreichen können, die Kandare stand nur leicht an. Oft war das Genick höchster Punkt, das Pferd mit der Stirn-Nasenlinie an der Senkrechten. Etwas täuscht das Einflechten. Hier ist der höchste Punkt optisch nach hinten auf den 3./4. Halswirbel verlegt worden. Bei der Mannschaftswertung konnte sie im Galopp die Zügel in eine Hand nehmen, das Pferd loben. Bei der Einzelwertung einhändig die Piaffe bis zum Halten reiten. Andere haben das auch versucht, aber bei Jessica von Bredow-Werndl konnte man sehen, dass sie sich absolut sicher war, dass das Pferd an den Hilfen bleiben würde.

Und noch mal: Dinge, die wir anders sehen, sollten diesmal bei der Beurteilung unberücksichtigt bleiben. Es ist wichtig, die Dinge hervorzuheben, die besser gezeigt worden sind als bei der Konkurrenz. Deshalb, damit andere das erkennen und verstehen können.

 

Der Weg komplett zur „alten Reitweise“ dürfte für Jessica von Bredow-Werndl kurz sein. Sollten mehr so gerittene Pferde platziert sein, so wird es den Richtern gelingen, die Eleganz und die Leichtigkeit der früheren Jahre wieder zur Pflicht werden zu lassen.

Jessica von Bredow-Werndl hat alle Chancen, dies zu erreichen. Nur wird sie durch Ihren Sattel derzeit noch daran gehindert. Es ist beeindruckend, wie gut sie mit den derzeit gängigen Tiefsitzern mit Pauschen das Pferd an die Hilfen bekommt. Diejenigen, die den Unterschied gefühlt haben, wissen das.

Sie ist 1986 geboren, das war ungefähr der Beginn der Pauschen. Und es ist fraglich, ob sie jemals die Möglichkeiten der Einwirkung über den Sitz eines Flachsitzers ohne Pauschen gespürt hat. Der Sattler Fritz Weiß (früher im Vorstand der Sattler Innung) sagte schon ca. 2005: Das sind Sportgeräte, die heute fast niemand mehr reiten kann.

Der Unterschied ist ähnlich wie zwischen einem Ruderboot und einem Wettkampfkajak. Wenn man es schafft, sich im Wettkampfkajak auszubalancieren, kann man genial damit fahren.

Flachsitzer ermöglichen es im Gegensatz zu Tiefsitzern mit Pauschen die Gewichtshilfen in mehreren Stärken abzustufen. Gute Reiter schaffen damit bis zu drei verwahrende und drei entlastende Stufen der Gewichtshilfen dem Pferd zu vermitteln. Zusätzlich sind die einseitigen Hilfen viel einfacher zu geben. Die Pferde spüren viel deutlicher die Gewichtshilfen und reagieren viel feiner. Damit ist die Einwirkung der Hand viel seltener notwendig. Dass das Genick durchgehend höchster Punkt ist, wird deshalb nur mit dem „Sportgerät Sattel“ zu erreichen sein. Taktfehler hinsichtlich des Gleichmaßes der Bewegung wären abstellbar und die Verstärkungen könnten um 50 % gesteigert werden.

Zurück zum Vergleich des Sattels mit dem Kajak: Jessica von Bredow-Werndl gelingt es mit dem Ruderboot die Wildwasserstrecke zu überwinden und trifft noch dazu eine größere Anzahl von Toren. Wer würde da bemängeln, dass sie die Stangen berührt ...

Wenn man sich also vorstellt, dass Jessica von Bredow-Werndl zum Sportgerät Sattel wechseln würde, wäre sie mit großem Abstand unschlagbar.

Denn Paul Stecken hatte sinngemäß eine Bemerkung für Verbesserungsmöglichkeiten:

Sie reiten nicht deshalb so gut, sondern trotzdem. Und sie wären noch besser, wenn sie das ändern würden.