Ein wichtiges Dokument aus einer mir vorliegenden Korrespondenz mit Paul Stecken:
Major a.D. Paul Stecken, bei Kriegsende als Angehöriger des Kav.RGt.15 Paderborn Chef der Reiter Inspektion an der Kavallerie Schule, von 1950-1985 Nachfolger seines Vaters Leiter der Westf. Reit– u. Fahrschule in Münster, nimmt auf Nachfrage zum Begriff Zügel aus der Hand kauen lassen, wie folgt Stellung:
[Original Paul Stecken Anfang]
„In den letzten Jahrzehnten wurde durch die Pferdzucht u.a. die Halsform der Pferde und damit die Leichtrittigkeit erheblich verbessert. Die Dehnungsbereitschaft, das Annehmen des Gebisses und dadurch der lockere Rücken, sowie die tätige Hinterhand waren wegen der verbesserten Hälse vermehrt durch die reiterliche Einwirkung, besonders durch Zügelhilfen, zu erreichen. Bereits vor dem Kriege war es beim Lösen junger und alter Remonten, aber auch bei älteren Pferden, ohne viel darüber zu reden- selbstverständlich-, dass innerhalb einer Reitstunde (ca.45 min) mind. 5-6 mal auf jeder Hand für ca.7-8 Metern die Zügel rauskauen gelassen wurden. Erreicht wurde dadurch die erforderliche Lockerung des Rückens, und vor allem, das sich u.a. die richtige Rücken-muskulatur für das Reitergewicht bilden konnte.
Nach dem Kriege war dieser Ausbildungsgrundsatz - Zügel rauskauen zu lassen -, beim Anreiten junger Pferde den lockeren Rücken als Bewegungszentrum zu erreichen, auch bei älteren Pferden während des Reitens, den hergegebenen Rücken zu erhalten, fast in Vergessenheit geraten.
Erst als durch die Zuchtverbesserungen das Reiten leichter wurde und die Rückenschwierigkeiten immer häufiger wurden und die Behandlung durch Tierärzte, auch Spritzen in den Rücken, nicht mehr ausreichten, erinnerten sich einige Ausbilder an die Lockerung des Rückens durch richtiges Zügel aus der Hand kauen lassen bis zur Schnalle. Nur so konnte das völlige Hergeben (Lockern) des Rückens als Bewegungszentrum erreicht werden und der Reiter ohne Spannung zum unerlässlichen wertvollen Treiben kommen.
Junge Pferde sollten, wie auch ältere Pferde, beim Lösen im 1. Ausbildungsjahr vermehrt am langen Zügel geritten werden. Das ist die längste Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdmaul an der Senkrechten bei nachgegebenem Genick. Mit älteren Pferden wird nur im versammelten Schritt-Trab-und Galopp am Zügel geritten, unterschiedlich entsprechend Ausbildungsstand und Halsform, im Gegensatz dazu wird mit hingegebenen Zügel zu Beginn oder am Ende des Reitens geritten. Mit Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul wird mit jüngsten Pferden, die noch kein Nachgeben im Genick kennen, aus Sicherheitsgründen geritten. Ebenso bei langen Militarys auf der Rennbahn. Lang und tief eingestellt hat es immer schon gegeben. Der Hals war deutlich fallen gelassen, die in früheren Jahren oft weniger gute Muskulatur an der oberen Halslinie sollte durch diese Haltung angereizt und verbessert werden.
Das richtige Zügel rauskauen lassen erfolgt in der Regel beim Reiten am langen Zügel durch eine oder zwei gefühlvolle halbe Paraden, die das Tempo etwas zurückführen. Anschließend kann der Reiter durch Treiben und Hand öffnen, ohne zuviel Handeinwirkung, für 7-8 Meter die Zügel bis zur Schnalle in allen Gangarten rauskauen lassen. Das Loben und Klopfen der Pferde am Hals ist unerlässlich, um den Kontakt zu fördern. Das Gebiss wird so vermehrt aufgenommen, der Rücken kann sich lockern und die Hinterbeine können durch Treiben tätiger werden. Am langen Zügel wurde auf längeren Märschen und zum Beispiel auf den Wegstrecken der langen Military geritten. Der Bewegungsablauf war mit lockerem Rücken trittsicher, rationell und kräftesparend, die Pferde konnten besser hinsehen wo sie hintraten, es gab weniger Lahmheiten. Es gab Reiter, die im Halten vor dem Absitzen rauskauen ließen, ihre Pferde klopften für das Reiten am nächsten Tag. Dabei durfte ein Fuß vortreten, damit auch hier das Treiben vorherrschend war.
Ein gutes Beispiel für Zügel aus der Hand kauen lassen, zeigt das Foto zum Artikel „die Pferde sollen Dreck fressen „ von Hans-Eberhard Schneider aus der 2.Ausgabe der Piaffe von 2008. Die Reiterin sollte das Pferd dabei mehr vor sich haben, also zum Treiben kommen. Der Titel („Dreck fressen“) ist weniger angebracht, zumal der Reiter dabei auch nicht zu dem unerlässlichen Treiben kommen könnte. Recht gut gelungen ist der dazugehörige Artikel.
In dem Buch “Grundausbildung des jungen Reitpferdes“ von Ingrid Klimke wird auf Seite 102 anschaulich und mit Bild beschrieben, wie und warum Zügel aus der Hand kauen wichtig ist. Ihr Vater Reiner Klimke hat mit 15/16 Jahren diese alten Grundsätze beim Reiten junger Pferde sehr sorgfältig erlebt und auch später beim Reiten seiner Pferde beachtet. Es ist im Grunde nichts Neues sondern es sind ganz alte Grundsätze, die u.a.Voraussetzung sind ohne Zwang und besonderer Spannung gutes und richtiges Reiten zu erleben. Das größte Abweichen von gutem, richtigem Reiten ist die in letzter Zeit oft übliche Reitweise „Rollkur“.Verglichen mit überlieferten Grundsätzen reiterlicher Unsinn und Tierquälerei.
Die Klassische Lehre kann in der Regel nicht besser zum Ausdruck kommen, als durch das Einhalten der überlieferten Grundsätze wie sie von hervorragenden reiterlichen Fachleuten in der HDV12 beschrieben und in den Richtlinien der FN aufgeführt werden.“
[Original Paul Stecken Ende]
Paul Stecken erhielt seine grundlegende und prägende Ausbildung im Reiter Regiment 15 Paderborn.Seine damaligen Ausbilder waren Graf Rothkirch, Baron von Nagel und Rolf Lippert(Goldmedalliengewinner , Military, auf den Olympischen Spielen1936 )In allen Jahren seiner Ausbildertätigkeit achtete er darauf, Reiter und Pferde nach den überlieferten Grundsätzen aus der HDv12 auszubilden.Neben zahlreichen Reitern und Reitlehreren gehörte auch in den 50 iger Jahren Reiner Klimke zu seinen Schülern.Heute ist das Sohn Michael und Tochter Ingrid.Im Jahre 1950 übernahm er von seinem Vater die Leitung der Westf.Reit- u.Fahrschule in Münster. Am 8. Dezember 1985, nach 36 Jahren Dienstzeit, wurde er mit einer Feier in der großen Reithalle,die nach seinem Namen benannt wurde,ehrenvoll verabschiedet.
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