Kritik am Vorwärts-Abwärts
Man hört von Tierärzten, Physiotherapeuten und Ausbildern oft sinngemäß den Satz:
Eine tiefe Kopfhaltung überlastet die Vorhand.
Betrachtet man das rein physikalisch, so ist das wenig nachvollziehbar.
Wie man an den übereinandergelegten Bildern sieht (die Füße des grauen Pferdes sind ausgeblendet), ist der Kopf oben sogar etwas weiter vor dem Schwerpunkt. Ob der Schwerpunkt nun genau am kleinen Kreis ist, ändert an der Physik der Hebelgesetze wenig.
https://de.wikipedia.org/wiki/Hebel_(Physik)
Man hat einen Schwerpunkt (der Drehpunkt) und nach vorn und hinten setzen die Hebelarme an.
Wie man an dem Bild sieht, ändert sich der rechte Hebelarm wenig, wenn sich Kopf und Hals senken.
Jetzt könne man sagen, dann müsste die Hinterhand weiter nach hinten treten. Physikalisch gesehen nimmt das Last von der Vorhand. Das sieht man oft, nur das ist eine Körperhaltung des Pferdes, die für die Gesundheit des Rückens ungünstig ist, und zusätzlich wünschen wir eine vermehrte Lastaufnahme in Verbindung mit weitem Vortreten unter den Schwerpunkt.
Um diese zu erreichen, gibt es mehrere Wege. Ich gehe nur auf die beiden ein, die scheinbar im Gegensatz stehen.
Als erstes eine Erklärung von Gerd Heuschmann zur Wirkung des Nacken-Rückenbandes.
Das Rückenband sollte die Last des Bauches und des Reiters tragen. Dazu muss es in Aktion versetzt werden.
Das Rückenband kann mit zwei verschiedenen Mechanismen in die Lage versetzt werden, der Rückenmuskulatur das statische Halten des Rückens abzunehmen:
Das Nackenband wird durch das Strecken nach vorwärts abwärts gedehnt. Es setzt im Bereich des Widerristes an und zieht diesen nach vorn. Das Rückenband setzt als Gegenspieler auch dort an und wird gespannt.
Die Hüfte wird im oberen Bereich nach hinten gekippt (Versammlung oder hohes Tempo) und zieht den Widerrist nach hinten. Das Nackenband als Gegenspieler wird damit auch nach hinten gezogen und hebt den Hals nach oben hinten. Das nennt man reelle Aufrichtung.
Ausbildungsrichtungen, die das Vorwärts-Abwärts ablehnen, müssten also dafür sorgen, dass das Pferd durch Versammlung in eine physiologisch richtige Haltung gebracht wird. Dazu bedarf es Krafttraining und Beweglichkeitstraining durch monatelange Handarbeit vor dem Anreiten.
Das scheint aber bei vielen genauso in Vergessenheit geraten zu sein, wie das richtige Vorwärts-Abwärts bei der H. Dv.12/FN Ausbildungsrichtung.
Beides, das richtige Vorwärts-Abwärts und die Handarbeit sollten also richtig durchgeführt werden.
Zusätzlich, dass beide Ausbildungsrichtungen einen anderen Nutzungszweck des Pferdes erreichen wollen, ist die korrekte Handarbeit noch weitaus schwieriger als das korrekte Vorwärts-Abwärts.
Mit falscher Handarbeit kann man das Pferd sehr schnell überlasten und in falsche Bewegungsmuster (z.B breit fußen) bringen.
Zurück zum Vorwärts-Abwärts:
Das Vorwärts -Abwärts ist (bei HdV12 und FN) die Vorbedingung, um Arbeitshaltung und später die Versammlung in Losgelassenheit und mit Selbsthaltung zu erarbeiten. Diese Phase ist bei einem Remonten oftmals kürzer als bei einem Korrekturpferd und ist nur ein Zwischenschritt. Ob dieses noch abzurufen ist, wird aber immer wieder während der weiteren Ausbildung täglich mehrmals kurz überprüft und gegebenenfalls verbessert.
Warum von den meisten Kritikern des Vorwärts-Abwärts und dem Zügel aus der Hand kauen lassen (bis zur Schnalle) nur der Kopf betrachtet wird, ist mir unklar.
Viel wichtiger ist, wie weit dabei die Hinterfüße unter den Schwerpunkt treten, und wie deutlich fußen sie dann ab. Weiterhin hört man vielfach, dass das Auffußen der Vorderbeine leiser wird, wenn die Pferde beginnen, den Hals fallen zu lassen, und die Losgelassenheit verbessert wird.
Das ist deshalb so, weil dann der Federmechanismus der Schulter in Gang gesetzt wird. Dadurch werden die Vordergliedmaßen weniger stark belastet.
Nachdem ein korrektes Vorwärts-Abwärts (genau wie Handarbeit) alles andere als trivial ist, wird vielleicht verständlich, warum falsches Vorwärts-Abwärts dann mit Recht als kontraproduktiv gesehen wird. Das allerdings ist genauso wie verkürzte Gänge (versammelt sind sie dann nicht) ohne vorherige Handarbeit, dann schädlich.
Zeigt das Pferd ein korrektes Vorwärts-Abwärts, so treten die Hinterfüße meist schon ein Stück weiter unter den Schwerpunkt als mit absoluter Aufrichtung oder mit ungenügender Losgelassenheit. Variiert man dann noch das Tempo, so sieht man Unterschiede im Abfußen. Der größte Vortritt mit dem kräftigsten Abfußen ist dann selbst bei tiefer Kopfhaltung weniger belastend für die Vorhand als absolute Aufrichtung und zu wenig Losgelassenheit.